Meine Mutter schwebt im Weltall und Großmutter zieht Furchen
Im Prinzip ist man schon tot, wenn man sich dazu entscheidet, sich umzubringen.Nach »Die Fischschwester« legt Franziska Wilhelm ein neues unverkennbares Buch vor. Die Leipziger Autorin erzählt eine tragische Familiengeschichte über drei starke Frauen. Nichts Neues? Weit gefehlt! Denn das Besondere dabei: Das Buch kommt ganz ohne Ausschmückungen und Schnörkel typischer Familiendramen aus. Weil sich das Leben unserer einfach so bemächtigt, spontan und ohne Erklärung. Und so überfällt dieses Buch auch den Leser. Ohne Einleitung, ohne Pathos zieht uns Wilhelm augenblicklich hinein in eine Geschichte von Entwurzelung, Familie und Selbstfindung. Schlicht und ergreifend berichtet Hauptperson Milla von einem gewöhnlichen Dorfleben. So gewöhnlich, dass man eine Ahnung bekommt von der Besonderheit vieler unscheinbarer Familien.
Vielleicht war es ihre Sehnsucht und nicht ihre Sturheit, die sie so fest auf die Erde drückte, dass sie beim Gehen Furchen zog.Dieses Buch funktioniert durch die Fusion von Unvereinbarem. Es verbindet Fliegen und Furchenziehen am Boden und trifft sich dabei mit dem Leser in der Mitte irgendwo dazwischen. Es ist schon erstaunlich, ein so leichtes Buch über Schwermut schreiben zu können. Leise Worte zu finden für ein so lautes Schicksal. Mit der einfachen Sprache eines einfachen Mädchens. Ein Plädoyer dafür, mehr zu machen und weniger zu grübeln, mehr zu akzeptieren und weniger in Frage zu stellen. Ich wäre gern ein bisschen Milla. Kein »warum ich?« belastet die Protagonistin und so glänzt Wilhelms Sprache durch Einfachheit ohne trivial zu werden.
Ich hätte nur gern Scheibenwischer für meine Augen.Mag sein, dass mancher etwas vermissen wird beim Lesen, etwa Tränen in den Augen, oder auch etwas zum Lachen, vielleicht einfach mehr von allem auf einmal. Aber ich denke, genau da liegt die Kunst der Erzählerin. Das Leben zu fassen wie es ist. Weniger romantisch als wir es uns wünschen, weniger dramatisch als wir es Leben wollen, weniger Glück auf einmal. Dafür mehr Sensibilität, mehr Raum für die Gedanken des Lesers, mehr weniger von allem. Dieses Buch hat mich nicht zum Weinen oder Lachen gebracht, aber es ist durch mich hindurch gegangen und hat Spuren hinterlassen. Spuren von der Einfachheit der Dinge, die besonders kompliziert erscheinen.
Am Ende bleibt, wie im Buch, nur ein klarer See und eine spiegelglatte Oberfläche im Leser zurück. Und die Frage, wohin Millas Reise gehen wird, und wer dieses Mädchen eigentlich ist. Denn Milla ist unterwegs, aber noch lange nicht angekommen.
Meine Mutter schwebt im Weltall und Großmutter zieht Furchen
Rezensiert von Linn Micklitz
Linn Penelope Micklitz schreibt, liest und lebt in Leipzig.
Ihre Lebensaufgabe ist die Beherbergung zu vieler Katzen auf zu wenig Raum.
Und ihr Philosophiestudium.