Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern

Ist unvorstellbar, oder? Ich weiß auch nicht richtig, wie das passieren konnte. Es waren meine Freunde, ich glaube, das ist das Problem.
Es gibt Momente, in denen einem das Leben zu entgleiten scheint, Momente, in denen man am liebsten aus lauter Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte, weil man meint, jede Kontrolle verloren zu haben. Solche Momente hat jeder von uns schon mal erlebt.
Nach der Lektüre dieses kleinen Erzählbandes aus dem Hause mairisch fragt man sich, wo Dorian Steinhoff mit seinen Geschichten in diesen Momenten war. Ich bin mir sicher: Nicht wenigen von uns wäre er Tröstung und Rettung zugleich gewesen.
Ich frage mich, wann ich Anne verloren habe auf diesem Weg. Ich suche nach einem Moment, irgendeiner Geste, einem Satz, der mir hätte anzeigen müssen, dass bei ihr in den letzten zehn Tagen ein komplett anderer Film ablief als bei mir. Mir war klar, dass ich nicht weiß, wie es mit uns weitergehen soll.
Sieben Erzählungen füllen dieses Buch. Nach außen hin handeln diese Geschichten von Raubüberfällen, missglückten Rettungsversuchen, sonderbaren Mitbewohnern oder überforderten Paaren – und klingen so erst mal wenig spektakulär. Doch spätestens nach der ersten Erzählung offenbart sich einem die enorme Qualität Steinhoffs: Hier werden weitab von Klischees Figuren entworfen, wie man sie selten zu Gesicht bekommt. Steinhoff arbeitet hier mit einer beeindruckenden Mischung aus schriftstellerischer Sensibilität und observierender Schroffheit, die es einem alles andere als leicht macht, einfach so weiterzulesen. Er ist ein beunruhigend ehrlicher Erzähler.
Wir rückten näher zusammen, in der Wohnung herrschte Dreampop-Stimmung, eine Atmosphäre zum Blumenpflücken auf wilden Wiesen.
Die Charaktere brauchen oftmals nur wenige Sätze, um Gestalt anzunehmen. Steinhoffs Erzählweise treibt ungemein, und dieses Gefühl entsteht nicht zuletzt vor allem auch durch die gekonnte Vermischung von urbaner Schnoddrigkeit und zartester Poesie. Die Erzählungen in »Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern« gehen einem so nah, wie es sonst nur das echte Leben vermag. Sie treffen Gefühle, die bisher lang und tief in einem geschlummert hatten. Sie geben Kraft und machen Mut.

Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern

168 Seiten, € 16,90, gebunden
mairisch Verlag, ISBN 978-3938539293

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Rezensiert von Alexander Schau