Ben

Ein weicher Tag mit Licht, das aus allen Richtungen strahlt. Die Sonne kann das nicht alleine schaffen. Gleißend steht die Stadt zwischen zwei Flüssen, hindurch führt keiner, geschnitten wird sie von Straßen und Wegen und einem Rinnsal, dem die Flüsse den Titel versagen.
Am 16. September 2015 wird Annika Scheffel in Frankfurt am Main den Robert-Gernhardt-Preis für ihr aktuelles, drittes Romanprojekt erhalten. Demnach hat sie vorher bereits zwei fertiggestellt, Zeit also sich diese einmal näher anzusehen, beginnend mit ihrem 2010 erschienenen Debüt »Ben«.

Benvolio Antonio Olivio Julio Toto Meo Ho Schmitt ist der Protagonist einer abenteuerlichen Alltagsreise durch die vielen Unwegsamkeiten von Leben und Liebe. Letztere empfindet Ben für Lea, nur leider um soviel zu sehr, dass es ihr Ende bedeuten würde. Dreimal soll er ihr begegnen, beim vierten Mal aber wird der Tod kommen und sie in seinen Stoffbeutel stecken.
Ben flieht deshalb, er folgt einem ominösen Ruf, steigt durch einen Spiegel in eine andere Welt, scheitert, und legt auf seinen Stationen, einen nach dem anderen, seine Vornamen ab wie überflüssigen Ballast bis er letztlich namenlos ans Ende seiner Reise gelangt.
Es gibt eine Ordnung in der Reihe der Namen, die ist sehr simpel und für jeden sofort zu erkennen. Damit sie stimmt, wird noch ein Name benötigt mit vier Buchstaben. Glück soll er haben im Leben, sagt Herr Schmitt, sein Vater, zum ersten Mal seiner Sache ganz sicher. Damit findet sich der Name am Kiosk.
Dabei sind seine Namen doch, was ihn abheben soll, als einziger Hoffnungsträger seiner biederen Eltern, die selbst nicht herausfinden aus grauer Routine und Banalität. Ein Held soll er sein und wird es auch, weil die Prophezeiung es so will. Und wie ein Held ist er eigentlich nur einer von vielen, der fast wie zufällig in Bewegung gerät. Er fügt sich ein in den Reigen der Charaktere und agiert als ihr Vertreter auf seiner Befreiungsflucht. Denn sie alle sind, jeder für sich umsponnen von Ängsten und Zweifeln, denkbar schlecht gewappnet für die Herausforderungen des Lebens. Lea mit ihren verkorksten Beziehungen, ihre Mutter, die sich in Plastiktüten hüllt, Bens neurotischer Mitbewohner Tjorven, Bens graue Eltern und der alte Herr May. Nur große Taten bleiben aus.
Da fliegt ein Vogel, den nichts, was er sieht, interessieren kann, das da unten ist doch nicht sein Leben. Wie alt werden Vögel und wie alt werden alte Mönner und wie alt können junge Männer werden, ohne alt zu sein. Wer wartet auf jemanden, der sich nicht ankündigt, und wer lässt ihn rein, auch wenn es gerade nicht passt? Woher stammt die Regel, dass alles einen Sinn macht und irgendwie aufgeht am Ende und mit Draufsicht.
Annika Scheffel hat es auf eine zarte, versponnene und dennoch unsentimentale Art verstanden, eine eigentlich bekannte Geschichte neu zu erzählen, ohne dabei in Klischees abzudriften. Sie sind in Sichtweite, die bekannten Strukturen einer haltlosen jungen Generation, werden aber sicher umschifft, indem die Autorin Sprache und Bilder auf sympathisch ungewohnte Weise miteinander verwebt. Bens Abenteuer findet kein abschließendes Ende. Zum Schluss geht es einfach weiter, weil die meisten Dinge im Leben nun einmal auf die eine oder andere Weise bewältigt werden und vom Radar verschwinden, selbst wenn es um so gewaltige Themen geht wie die große Liebe, das Verlassenwerden oder den Tod.

Ben

272 Seiten, € 9,99, broschiert / kartoniert
S. Fischer, ISBN 978-3596191871

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Rezensiert von Juliane Kopietz