von Philipp Winkler
Hool
Ich wärme meinen neuen Zahnschutz in der Hand an. Wende ihn mit den Fingern und presse ihn etwas zusammen. So mache ich es vor jedem Kampf.Heiko ist nervös. Gemeinsam mit seinem Onkel und Freunden fährt er im 15-Mann-Trupp nach Olpe, um sich dort mit Kölner Hooligans ein Match zu liefern. Und das erste, was der unbedarfte Leser lernt, ist: Hooligans verabreden sich zum Prügeln. Und: Es gibt Regeln. Gleiche Anzahl an Kontrahenten, keine Waffen und auf dem Boden liegende Gegner werden nicht weiter geschlagen, es sei denn, sie stehen wieder auf. Alles klar. Willkommen – fast – ganz unten.
Mit seinem Debütroman »Hool« hat der Autor Philipp Winkler den Vorhang geöffnet zu einem Milieu, das gern in der Presse Schlagzeilen zu Ausschreitungen rund um Fußballspiele macht, das trotz allem aber den Eindruck einer rigoros geschlossenen Gesellschaft macht.
Es gibt einige Klischees, denen »Hool« entgegentritt. Protagonist Heiko hat sich zwei Mal am Abitur versucht, bevor er in der Schule gänzlich gescheitert ist. Immerhin. Sein Kumpel Kai studiert BWL und denkt über ein Auslandssemester nach. Heiko war Zivi und nicht beim Bund. Viele Hools hassen Neonazis. Fußball ist für manche noch ein Thema. Für die meisten allerdings nicht mehr. Am liebsten haut man sich einfach aufs Maul. Weil das irgendwie immer schon so war. Weil Matches zwischen Städten und damit zwischen den Anhängern der verschiedenen Fußballvereine noch Jahrzehnte später als epische Kämpfe gefeiert werden.
Aggressionen, Gewalt, Verletzungen, Rache – eine Abwärtsspirale, die auch Heiko langsam aber sicher immer weiter mit sich nach unten zieht. In Rückblenden blickt er auf einschneidende Ergebnisse in seinem Leben, auf Streit, Geschrei und zerbrochene Familien, auf gescheiterte Beziehungen, auf Todesfälle im Familien- und Freundeskreis, auf Gewaltexzesse, auf die alle miteinander verbindende Leidenschaft Fußball. Hannover 96, das lernt Heiko schon früh von seinem Vater, das is‘ was.
Und dieser Ersatzreligion, dem Fußball und der Gewalt, gibt Heiko sich hin. Eigentlich läuft alles gut. Sein Onkel lässt ihn Matches organisieren, er scheint ihn innerhalb des autoritär geführten Trupps befördern zu wollen. Heiko wagt, angespornt von seinen Freunden, eigene Guerilla-Aktionen gegen andere Gruppen: Hannoveraner gegen Braunschweiger Hools. Er lebt von Gelegenheit zu Gelegenheit, von Match zu Match – und erst spät realisiert er, dass seine Freunde nach und nach versuchen, sich den Gewaltexzessen zu entziehen. Andere Ziele im Leben verfolgen wollen. Und Heiko, der es hasst, wenn sich alles ändert, fühlt sich in seinen Aggressionen und seiner Ziellosigkeit alleingelassen. Er, der sonst nichts hat.
»Hool« schafft den Spagat, Einblicke in ein gewalttätiges Milieu zu schaffen, ohne dabei große Sympathien für die Protagonisten zu wecken. Der Roman räumt mit diversen Klischees auf, bestätigt viele andere und gibt Einblicke in den Alltag von Menschen, deren Tag mit einem Guten-Morgen-Bierchen beginnt und vielleicht im Krankenhaus endet, die zwischen Boxsack, Anabolika, Drogenhandel und skurrilsten Tierkämpfen nach einem Sinn im Leben suchen.
Ich weiß selber nicht so recht, warum ich überhaupt aufgestanden bin und wie ein Getriebener durch die Nacht fahre. Vielleicht weil ich irgendwo landen will, wo ich das Gefühl habe, angekommen zu sein. Ich weiß nicht. Vielleicht bin ich einfach zu besoffen.Und auch wenn die Geduld beim Lesen durch Heikos wildes Potpourri an platter, vulgärer Ausdrucksweise oder durch allzu langweilig-fäkale Berichte wie dem seines Stuhlgangs in eiligen Situationen durchaus strapaziert werden kann: Lohnt sich, der Roman.
Hool
von Philipp Winkler
Rezensiert von Rike Zierau
Rike liest nur halb so viel, wie sie es gern möchte und mag weniger als die Hälfte der Bücher nur halb so gern, wie sie es (vielleicht) verdienen. Iris Radisch hält sie für eines der besten Dinge, die der Literaturwelt passieren konnten.