von Philippe Besson
Nachsaison
Ja, anfangs lächelt sie.Edward Hoppers Bild "Nighthawks" ist wohl eines der bekanntesten Gemälde der Neuzeit, jedem von uns ist es vermutlich schon einmal - bewusst oder unbewusst - begegnet.
Der Franzose Philippe Besson hat sich dieses Kunstwerkes angenommen und eine fiktive Geschichte ersponnen, die der Szene seiner Meinung nach innewohnen könnte.
Gesprochen wird nur sehr wenig, vereinzelt fallen ein paar Sätze, den überwiegenden Teil machen Gedanken aus, Beobachtungen, wie wir als Leser und Betrachter sie eben haben könnten, wenn wir auf das Bild und durch das große Fenster hindurch ins » Phillies « blicken: Dort sitzt Louise und wartet auf Norman, ihren Lebensgefährten, mit dem sie eigentlich verabredet ist. Sie ist an diesem Abend der einzige Gast, um den Ben sich in der etwas abseits gelegenen Bar kümmern muss, bis plötzlich Stephen auftaucht, ihr ehemaliger, seit Jahren verschollener Liebhaber.
Wenn man sie heute drängte zu sagen, warum sie ihn damals liebte, dann würde sie zunächst antworten, dass sie es nicht genau weiß. Und am Ende würde sie sagen, dass es sicher der Sanftheit wegen war.Während Louise auf den Anruf Normans wartet. der sich an diesem Nachmittag ihretwegen endlich von seiner Frau trennen will, entspinnt sich zwischen Louise und Stephen so etwas wie ein Gespräch, das alte Wunden aufreißt und fast gleichzeitig wieder verschließt. Wenige Sätze genügen den beiden, um all das wieder zu erkennen, was sie damals schon aneinander hatten, und was die letzten Jahre über unter Eis und tief in Ihrem Inneren verborgen lag. Schnell merken sie, dass die Zeit sie zwar einander entfremdet hat, dass aber das Gefühlsfundament, auf dem sie damals ihre Beziehung aufbauten, immer noch Bestand hat.
Für sie und für ihn war diese Geschichte natürlich einzigartig, kostbar, selten. Sie war etwas Besonderes. Es war ihre Geschichte.Es passiert kaum etwas auf den wenigen Seiten, aber das Augenmerk liegt wohl auch gar nicht auf einer rasanten Geschichte, sondern vielmehr tiefer: Besson gelingt eine gnadenlos-kühle Analyse der Figuren auf dem Bild, denen er durch seine Herangehensweise eine beeindruckende Plastizität verleiht. Hauptsächlich dringt er in deren Köpfe ein und versprachlicht ihre Gedanken, er gibt ihnen nicht nur eine Vergangenheit, sondern ein Leben.
Dieser Roman ist eine wundervolle und anrührende Hommage an sein Vorbild, eine kleine, aber beeindruckende Interpretation. Die Szenen, die Besson entwirft, loten die Beziehungen der Figuren untereinander bis zum tiefsten Punkt hin aus. Es ist tatsächlich fast so, als würden die Figuren lebendig.
Nachsaison
von Philippe Besson
Rezensiert von Alexander Schau
Alex lebt schon eine Weile nicht mehr in Leipzig, liebt aber immer noch Ebooks und liest eigenen Angaben zufolge durchschnittlich 6,73 Bücher pro Monat. Paulo Coelho findet er immer noch widerlich, daran hat auch der Umzug nichts geändert.